Diplomarbeit
DIE UNVOLLSTÄNDIGE DARSTELLUNG DER VULVA IM BLICK AUF DIE WEIBLICHE SUBJEKTIVIERUNG
von Laura Baginski
Inhalt:
1. Einleitung
2. »Phallus« und »symbolische Kastration« – Zur psychoanal. Theorie
3. Varianten der Repräsentation des weiblichen Genitales
3.1 Der Baubo-Mythos
3.2 Die Vulva in der antiken Ikonographie
3.3 Vagina? – Das Problem der Benennung
3.4 Die Gorgo-Medusa
4. Baubo – Verlust und Vollständigkeit in einer Figur
5. Konklusion
6. Literaturnachweise
>> AUSZUG <<
2. »Phallus« und »symbolische Kastration« – Zur psychoanalytischen Theorie
Im Zentrum meiner Arbeit steht die Dissertation der Psychoanalytikerin Monika Gsell „Die Bedeutung der Baubo. Zur Repräsentation des weiblichen Genitales“. Die Autorin, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Gender Studies an der Universität Zürich tätig ist, untersucht in dieser umfangreichen Arbeit die historischen Darstellungsformen des weiblichen Genitales in bildlicher und schriftlicher Überlieferung und entwickelt Theorien über die möglichen Auswirkungen auf das Selbstbild und die Identität der Frau. Für meine theoretische und praktische Arbeit ist dabei besonders der erste Teil ihres Buches interessant, in dem Sie sich der mythologischen Figur der Baubo widmet. Eine Motivation für Gsells theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema liegt ihrer Erklärung nach darin, die provokante Theorie des in Frankreich sehr einflussreichen Psychoanalytikers Jacques Lacan zu hinterfragen, demnach es keine Symbolisierung des weiblichen Geschlechts äquivalent zu dem männlichen, dem »Phallus«, geben soll. Sie bezieht sich dabei auf dessen folgende Aussage: „Strenggenommen, (...), gibt es keine Symbolisierung des Geschlechts der Frau als solchem. (...) Und das, weil das Imaginäre nur eine Abwesenheit liefert, dort, wo es anderswo ein sehr hervorragendes Symbol gibt.“
Um die teils recht missverständlichen Begriffe hier und im Folgenden verstehen zu können, muss man die Lacansche Variante des Psychischen Apparates kurz erläutern, die in drei verschiedene Register eingeteilt sind: Das Symbolische, das Imaginäre und das Reale. „Das Symbolische ist die Ordnung der Zeichen, die das Individuum vorfindet und in die es sich integrieren muss. Insofern als das Zeichen stets auf die Abwesenheit dessen verweist, wofür es steht, ist das Symbolische auch immer ein Zeichen des Mangels. Das Imaginäre ist demgegenüber die Ordnung, in der das Individuum Bilder entwirft, die es ihm ermöglichen,
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sich als Ganzes wahrzunehmen und den Mangel, mit dem es durch seine Teilhabe am Symbolischen affiziert ist, zu »verleugnen«. Die Ordnung des Realen konstituiert sich schliesslich durch das, was aus dem Symbolischen und dem Imaginären ausgeschlossen wird und als Ausgeschlossenes die Ordnung des Symbolischen und des Imaginären bedroht.“ Demnach wäre also der »Phallus« zunächst kein positives männliches Symbol, sondern etwas, das auf den beide Geschlechter betreffenden Mangel und die Unvollständigkeit hinweisen soll, die aus der geschlechtlichen Differenziertheit resultiert. Irriterend an diesem Konzept ist laut Gsell aber, dass Lacan mit der Verwendung des »Phallus« einen Begriff verwendet, den sie als »höchstgradig parteiisch « einstuft, besonders in der Kombination mit der genannten Fesstellung, dass es keine Symbolisierung des weiblichen Geschlechts geben soll. Zwar weist Gsell darauf hin, dass, wie in Lacans Aussage oben deutlich wird, die »(Nicht- )Symbolisierbarkeit des weiblichen Genitales auf der Ebene des Imaginären stattfinde und der »Phallus« als Zeichen für den Mangel auf der Ebene des Symbolischen, doch stellt sich für Gsell dabei eher die Frage, „(...) wie es sich erklären lässt, dass sich die Symbolisierung des männlichen und des weiblichen Geschlechts im Feld des Imaginären durch eine in der Tat unübersehbare Asymmetrie auszeichnen.“ Diese Assymetrie könnte nach Gsells Ansicht auf die, wenn man so will, traurige Tatsache hinweisen, dass die Vulva infolge eines strengen Darstellungtabus in unserer abendländischen Kultur (exklusive der heutigen Pornographie) „(...) tatsächlich als etwas erscheint, das nicht existiert, als Absenz. Oder aber (...) als Monströsitiät.“
Diese »Lücke«, die sich auf der Ebene des Imaginären einstelle, erklärt Gsell damit, dass es an eben jenem symbolischen Äquivalent in unserer Bildwelt fehle, welches eine Imagination von »etwas« ermögliche. Ebenso das Erscheinen des weiblichen Genitals als »Monströsität«, die der Ebene dritten Registers des Realen entspräche, dem, was als außerhalb der symbolischen Ordnung Stehendes bedrohliche Formen annehme. Dazu noch einmal Lacan: „ Dort, wo es kein symbolisches Material gibt, liegt ein Hindernis vor, ein Fehlen für die Realisierung der für die Realisierung der Sexualität des Subjekts wesentlichen Identifizierung. Dieses Fehlen rührt von
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der Tatsache her, dass es, bezüglich eines Punktes, dem Symbolischen an Material [sic!] mangelt – denn es braucht eines. Das weibliche Geschlechtsteil hat einen Charakter von Abwesenheit, von Leere, von Loch, der bewirkt, dass es sich als weniger begehrenswert erweist als das männliche Geschlechtsteil in dem, was es an Provozierendem an sich hat, und dass eine wesentliche Dissymetrie in Erscheinung tritt.“ In diesem »Mangel im Symbolischen« vermutet Gsell im Gegensatz zu Lacan, der diesen, wie oben beschrieben, als Folge einer feststehenden Ordnung und anatomischen Gegebenheit einstuft, einen Effekt, der dazu diene, den grundsätzlich beiden Geschlechtern anhaftende »Mangel« auf die Frau abzuschieben, was wiederum den Weg zur weiblichen Subjektivierung blockieren würde. Dabei betont sie, dass sie nicht das psychoanalytische Konzept des Mangels im Bezug auf die Frau gänzlich entkräften möchte, sondern vielmehr die Vorraussetzungen für dessen Anerkennung schaffen will. Eine Anerkennung des »Mangels im Symbolischen«, könne jedoch nur stattfinden, wenn „es Bilder gibt, die es dem Subjekt gleichzeitig erlauben, sich als vollständig zu imaginieren.“ Man könnte also sagen, dass es hier darum geht, das Symbolische und das Imaginäre in das richtige Verhältnis zu setzen, wozu Monika Gsell mit ihrer Untersuchung zur Bedeutung der Baubo beitragen möchte: „Es geht darum zu erkennen, wann und wie die Bilder, welche unsere Kultur sich von den männlichen und weiblichen Genitalien gemacht hat, auf einer Verwechslung des Symbolischen, des Imaginären und es Realen beruhen.“
In diesen kulturell tief verankerten und über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, hinweg überlieferten Bildern sieht sie einen entscheidenden Grund dafür, dass allen Bemühungen zum Trotz soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern weiter bestehen. Das bereits erwähnte Seh- und Darstellungstabu, das dem weiblichen Genitale auferlegt ist, werde noch dadurch verstärkt, dass es ebenso tabuisiert sei, es also entweder stillschweigend hingenommen oder als Phänomen übersehen werde. Dabei geht es Gsell nicht vorrangig um die Tabuisierung an sich, sondern vielmehr um Entstehung und Auswirkungen dieser eklatanten „(...) Ungleichheit bezüglich der öffentlichen Repräsentation und Repräsentierbarkeit männlicher und
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weiblicher Genitalien (...)“ speziell auf die weibliche Körper-Identität, sowie um die Frage, was sich eigentlich zeige, wenn dieses »Darstellungs- und Bezeichnungstabu der Vulva« durchbrochen wird.
Die verschiedenen Darstellungs- und Auslassungsformen des (weiblichen) Genitales, die Monika Gsell in ihrem Buch untersucht – an drei exemplarischen Figuren der antiken Mythologie: Baubo, Aphrodite und Gorgo-Medusa, sowie der mittelalterliche Adam-und-Eva- Ikonographie und den Sheela-na-gig-Figuren (u.a.) –, verweisen in verschiedener Weise auf ein und dasselbe Thema: die »Verleugnung von Geschlecht«. Um diese Problematik im Folgenden besser zu verstehen, ist es notwenig, die psychoanalytische Studie „Geschlecht und symbolische Kastration“ von Barbara Rendtorff anzuskizzieren, die für Gsells Untersuchungen als Basismaterial fungiert hat. Rendtorff entwirft darin eine »Psychoanalyse der Geschlechterverhältnisse«, die kritisch auf der klassischen, androzentrischen Psychoanalyse aufbaut und zugleich die enge Sichtweise der feministisch geprägten »Psychoanalyse der Frau« verlässt. Rentdorffs Studie bildet in der psychoanalytischen Literatur eine Ausnahme, „denn hier wird nicht nur der Perspektive beider Geschlechter grosse Bedeutung beigemessen, sondern auch versucht, die »Verzahnung« der je unterschiedlichen Probleme, welche die Geschlechterdifferenz für die männliche wie für die weibliche Psyche bedeuten kann, herauszuarbeiten. Ausgehend von Jacques Lacans Konzept des gespaltenen Subjekts steht im Zentrum ihrer überlegung die Problematik der ›Anerkennung‹ bzw. der Annahme des eigenen Geschlechts (...).“ Denn „Geschlecht und damit Geschlechterdifferenz verweisen stets auf die eigene Begrenztheit, auf Unvollkommenheit, auf Mangel – hinzuzufügen wäre: wie jede andere Differenz auch, nur scheint der anatomische Geschlechtsunterschied der »privilegierte Ort« zu sein, »an dem ›Mangel‹ im so verstandenen Sinne sich zeigt – d.h., wesentliche Aspekte wie Endlichkeit, Angewiesenheit, Nicht-Vollständigkeit, Begehren usf. sind hier in verdichteter Weise präsent.«“
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Die Begriffe »Phallus« und »symbolische Kastration«, wie sie bei Rendtorff verwendet werden, bedürfen aufgrund ihrer Missverständlichkeit und oftmals unklaren oder fehlerhaften Definition (wie beispielsweise bei Freud, der nicht eindeutig zwischen Penis und »Phallus« unterschieden hat) einer genaueren Erklärung. Der »Phallus« als »Symbol der Genitalität«, wie Rendtorff ihn bezeichnet, ist wie schon oben erwähnt, im Sinne von Lacan kein positives Symbol, das mit dem realen Penis gleichzusetzen wäre und auf eine zu erlangende Vollständigkeit hinweist, sondern gerade das Gegenteil: „Der »Phallus« ist das, was weder Männer noch Frauen haben, was die Differenz ausmacht, das was beiden fehlt, um »vollständig« zu sein. In Analogie dazu bedeutet der Begriff der »symbolischen Kastration«: Anerkennung der eigenen Mangelhaftigkeit, sprich Sterblichkeit und Begrenztheit.“ Der Begriff der »Kastration« suggeriert zunächst, dass etwas entfernt wurde, was zuvor da war, einen Verlust von etwas zu Habendem, doch eben das meint »Kastration« in diesem Zusammenhang nicht. Man könnte sagen, es ist die Erkenntnis über die geschlechtliche Differenz, die darauf hinweist, dass der Mensch immer zwei ist, demnach nie vollständig war und es auch nie sein wird. »Symbolische Kastration« bezeichnet also den Verlust von etwas, das nicht real existiert. An dieser Stelle möchte ich mit einem Zitat von Rendtorff auf die eingangs geäußerte Frage von Gsell zurückgreifen, warum Lacan den »parteiischen« Begriff »Phallus« verwendet haben könnte:„Phallus ist die »sprachliche Aussage eines unmöglichen Genusses«, den es nie gibt und nie gab, im Unterschied z.B. zur Brust, die eher als verlorenes (»der Kastration vorgängiges verlorenes«) Objekt, als »Vorgestalt der Kastration« anzusehen ist. Die Mutter ist auf der Ebene des Realen in den Beginn des Lebens verwickelt, das Symbol von Mangel und unmöglichem Genuß kann von daher nicht am mütterlichen Körper zu finden sein.“ Das erklärt zwar nicht die Problematik der mangelnden Symbolik für das weibliche Genitale, könnte aber ein Hinweis darauf sein, warum das »Symbol der Genitalität« an etwas mit dem männlichen Glied assoziierten festgemacht wird.
Zum Problem der »symbolischen Kastration« merkt Gsell an, dass auch der Begriff der »Anerkennung« leicht fehlzudeuten sei. Denn die Anerkennung des Mangels sei eben, wie es zunächst scheint, gerade kein bewusst steuerbarer Vorgang sondern „ein unbewusster Prozess, dessen Gelingen oder Misslingen von vielen verschiedenen psychischen wie auch
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gesellschaftlichen Faktoren abhängt. (...) das menschliche Unbewusste scheint stäändig darum bemüht zu sein, die [im Kleinkindalter erstmalig aufkommende, L.B.] Kränkung, die mit der »symbolischen Kastration« einhergeht, zu vermeiden. Und hier kommt der Begriff der Verleugnung ins Spiel“Die Verleugnung ist nach Freud eine von vier Formen der Abwehr (Verdrängung, Verneinung, Verwerfung und Verleugnung), bei der anstelle der Anerkennung der wahrgenommenen Realität [die Mutter hat keinen Penis, L.B.] ein Phantasma eingesetzt werde [die Mutter hat einen Penis / die Mutter hatte einen Penis, den sie durch Kastration verloren hat, L.B.]. Dieser Vorgang, der in der Kindheit mit dem Erkennen der Geschlechterdifferenz erstmals auftrete, werde laut Rendtorff beim Erwachsenen zu einem dauerhaften »Faktor der Beunruhigung«, der dazu führte, dass „(...) nicht mehr die Tatsache der Differenz, sondern das damit einhergehende Gefühl eigener Unvollständigkeit“ geleugnet werde. Daraus schließt Barbara Rendtorff auf zwei – wohl bemerkt unbewusste – Figuren der Verleugnung, die für die folgenden Untersuchungen zur Darstellung des weiblichen Genitales von entscheidender Bedeutung sind: zum einen die Positivierung des »Phallus«, zum anderen die (daraus resultierende) Abwertung des weiblichen Genitales. Die Positivierung des »Phallus« sei die Vorstellung, dass der »Phallus« etwas sei, was man besitzen könne, oder was der Mann (in Form seines Penis) schon habe, wodurch dem männlichen Unbewussten ermöglicht werde, sich als vollständig zu empfinden. „(...) Rendtorff bezeichnet diese Identifikation von »Phallus« und Penis als eine Verwechslung zwischen dem Imaginären und dem Realen.“ Das Gegenstück bildet die Figur der Abwertung des weiblichen Genitales. Denn „[w]enn der Penis zum Zeichen der Vollständigkeit wird, wird die Geschlechterdifferenz, der Mangel auf das weibliche Geschlecht abgeschoben. Das weibliche Genitale wird zum Zeichen der Unvollständigkeit, zum Symbol der Kastration. (...) Rendtorff bezeichnet diese Identifikation von »symbolischer Kastration« und dem weiblichen Genitale als eine Verwechslung zwischen dem Symbolischen und dem Realen.“ Wenn Geschlecht an sich der Ort ist, der auf die Mangelhaftigkeit des Menschen verweist, könnte man sagen, dass durch die Verschiebung des Mangels auf das weibliche Genitale der Frau Geschlecht an sich zugeschrieben wird, was auch eine Erklärung der in der christlich-abendländischen Kultur negativen Bedeutung von
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Geschlecht und Sexualität an sich erklären würde „Strenggenommen müssten wir also sagen, dass der abendländische Diskurs gar nicht auf Zweigeschlechtlichkeit basiert, sondern auf Eingeschlechtlichkeit, da ein Geschlecht eingesetzt wurde, nämlich das männliche, und das weibliche ausschließlich als Abgrenzung dazu konstruiert wurde. Damit war die Frau Trägerin der Geschlechterdifferenz. Sie war – minderwertige Abweichung von der Norm und – da ein vollständiger Mensch ohne Penis nicht gedacht werden konnte–die Kastrierte.“
An der Stelle, was am weiblichen Genitale nun genau dieser Tabuisierung unterliege, unterscheiden sich die Positionen von Gsell und Rendtorff. Rendtorff bezeichnet das Körperinnere der Frau als den Ort der Tabuisierung: „die Unsichtbarkeit, die Offenheit, die schleimige Konsistenz der Oberfläche, die Beweglichkeit und Unsicherheit über die Form, die zyklische Veränderlichkeit, das Blut, der Bezug zu Leben und Tod.“ Im Rahmen ihrer Untersuchung kommt Gsell jedoch zum gegenteiligen Schluss, nämlich dass die Tabuisierung nur dem äußeren, sichtbaren Teil des weiblichen Genitales, also der Vulva anhaftet. „Demgegenüber wird das Körperinnere idealisiert und als das eigentliche Begehrenswerte stilisiert.“
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Entscheidender als die exakte Verortung des Tabus ist jdeoch die Feststellung Rendtorffs, „(...) dass diese Abwertung des Weiblichen überaus oft eingebunden ist in eine paradoxe Bewegung der Frau gegenüber, die gleichzeitig zwei diametral entgegengesetzte Funktionen zu erfüllen hat. Einerseits soll die Frau den »Mangel« auf sich nehmen (Sexualisierung der Frau), andererseits aber soll sie die Illusion perfekter Schönheit und damit die Phantasie von Vollständigkeit gewähren (Desexualisierung). Diese paradoxe Konstruktion der Frau wird kulturgeschichtlich meist nur in der Aufspaltung fassbar, in der Verkörperungen idealisierter Weiblichkeit einerseits und in der Verkörperung negativ-abschreckender Weiblichkeit andererseits (...). “ Man kann sagen, dass der Mann die Frau wiederum zum »Phallus« macht, indem er sie als Objekt vollkommener Schönheit als etwas imaginiert, das er glaubt, besitzen zu können. Dazu finden sich bei Sanyal zwei Stellen zum Striptease, die sich passend ergänzen. Barthes schreibt: „Das Strip-tease [...] ist in einem Widerspruch befangen: die Frau in dem Moment zu entsexualisieren, in dem man sie entkleidet. [D]ie nackte Frau selbst [bleibt] irreal, glatt und geschlossen wie ein schöner, glänzender Gegenstand, der gerade durch seine Extravaganz dem menschlichen Zugriff entzogen ist.“ Und Baudrillard fügt hinzu: „Die Langsamkeit der Gesten ist die des Priesters und der Transubstantiation. Nicht der Transubstantiation von Brot und Wein, sondern von Körper zu Phallus. Mit jedem Kleidungsstück, das fällt, ist man nicht näher am Nackten, an der nackten Wahrheit des Sex [...] – sondern wenn ein Kleidungsstück fällt, bezeichnet es das, was es entblößt, als Phallus – es kommt ein neues Kleidungsstück zum Vorschein, und das Spiel vertieft sich, währen der Körper im Rhythmus des Striptease immer deutlicher als phallisches Bild in Erscheinung tritt.“
Die beschriebenen Varianten der »Verleugnung von Geschlecht« sind in unserer abendländischen Kultur die vorherrschenden, umgekehrt, also in einer Abwertung des
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Männlichen und einer Aufwertung des Weiblichen treten sie kaum auf. Gsell bezeichnet dies als eine »unheilige Allianz« auf der Ebene der Unbewussten, die noch vom gesellschaftlich institutionalisierten Geschlechterverhältnis gestützt werde, „denn das männliche »Phantasma von Vollständigkeit« (...) bestätigt und zementiert das weibliche »Phantasma der Unvollständigkeit« (...) und umgekehrt.“ Es bedeutet also, dass sich Männer wie Frauen in diesem unbewussten Bedeutungsrahmen bewegen. Das gilt beispielsweise auch für die Bestrebungen innerhalb der Frauenbewegung nach Teilhabe an der (männlich besetzen) Macht, wie sich etwa in den aktuellen Diskussionen um Führungspositionen für Frauen ablesen lässt. Wenn diese unter dem Gleichstellungsaspekt selbstverständlich berechtigt sind, so unterliegen sie doch ebenfalls der Figur der »Verwechslung von Penis und Phallus«, da sie mit der Vorstellung verbunden sind, die eigene »Mangelhaftigkeit« loszuwerden und, indem sie das bekommen, was die Männer »in realiter« auch haben, Vollständigkeit zu erlangen. Diese Problematik zeigt einmal mehr, wie wichtig die Erforschung der GrÜnde und Folgen der (fehlenden) Symbolisierung des weiblichen Genitales ist.